Blaulicht
Unwetter-Bilanz der Feuerwehr: Zahllose Einsätze – 49 Menschen gerettet
Am Mittwoch, den 14. Juli 2021 alarmierte die Kreisleitstelle die ehrenamtlichen Einsatzkräfte der Feuerwehr Herdecke um 17:13 Uhr zu einem Unwettereinsatz. In den folgenden 24 Stunden mussten von in der Spitze ca. 100 Einsatzkräften weitere 102 Einsätze bewältigt werden. Dabei retteten die Feuerwehrleute 49 Menschen aus gefährlichen Situationen am und im stark strömenden Wasser. Auch fünf Hunde und drei Katzen wurden gerettet. Zwei Menschen wurden leicht verletzt. Die Feuerwache am Herdecker Bach wurde ebenfalls überflutet, sodass zeitweise die Telefon- und EDV-Anbindung ausfiel.
Viele Einsätze zur Menschenrettung
Einer der aufwändigsten Rettungseinsätze ereignete sich am frühen Mittwochabend im Bachviertel unterhalb der neuen Bachstraße. Innerhalb weniger Minuten stieg der Herdecker Bach so stark an, dass der komplette Bereich mit enger Fachwerkbebauung überflutet war. Aufgrund der extrem starken Strömung konnten 41 Menschen ihre Häuser nicht mehr ungehindert verlassen. Zwei Personen befanden sich bereits brusthoch im schnell fließenden Wasser. Diese wurden von den Strömungsrettern in Sicherheit gebracht. 26 Personen, unter ihnen auch ein Säugling, konnten von den Strömungsrettern noch fußläufig bergauf in Richtung Herrentisch geführt werden. Eine demente Frau musste von ihrer Tochter aus dem Haus geführt werden. Zudem befand sich auch eine bettlägerige Person im Überflutungsbereich. Diese wurde liegend mit ihrem Ehemann in einem Schlauchboot in Sicherheit gebracht. Von der höhergelegenen Neuen Bachstraße aus wurden acht Menschen mit der Drehleiter und tragbaren Leitern aus ihren Häusern gerettet, die komplett vom Wasser eingeschlossen waren. Vier Jugendliche, die sich in einem der Häuser befanden, hatten bei Überflutung des Erdgeschosses den Strom abgeschaltet und sich in das Obergeschoss begeben. Sie wurden von dort ebenfalls mit einem Schlauchboot gerettet. Zwei der geretteten Menschen aus dem Bachviertel verletzten sich leicht. Sie mussten unterkühlt vom Rettungsdienst in ein Krankenhaus eingeliefert werden.
Auch am Donnerstag war die Räumung eines Hauses erforderlich. In Hagen-Vorhalle, im Bereich des Gut Hausen, waren vier Menschen, zwei Katzen und ein Hund seit dem Vortag in ihrem Haus eingeschlossen. Hier kam erneut die Strömungsrettergruppe mit dem Schlauchboot zu Einsatz. Problematisch gestaltete sich, dass eine Person blind war und dauerhaft eine Versorgung mit Sauerstoff benötigte. Dadurch wurde die Rettung erheblich erschwert. Obwohl die Einsatzstelle auf Hagener Stadtgebiet lag, musste hier die Herdecker Wehr tätig werden, da die Verbindung nach Hagen auch mit geländegängigen Lastwagen nicht mehr sichergestellt war.
Am Donnerstag und am Freitag mussten insgesamt drei Menschen aus ihren Fahrzeugen gerettet werden. Diese waren im Bereich Vorhalle und Wittbräucker Straße vom Wasser eingeschlossen. Dazu musste im Bereich Vorhalle abermals das Schlauchboot eingesetzt werden. An der Wittbräucke im Bereich des übergelaufenen Regenrückhaltebeckens unterstütze ein Passant die Rettung und trug eine Frau aus dem PKW zu dem Löschfahrzeug der Feuerwehr.
Am späten Mittwochabend erreichte die Feuerwehrleute die Meldung, dass auf der B54 auf dem Weg Richtung Hagen ein Kind in die Ruhr getrieben sei. Umgehend rückten alle im Einsatz befindlichen Kräfte zur Menschenrettung aus. Die ersten Kräfte erfuhren durch Zeugen, die mit der Mutter des Kindes gesprochen hatten, dass das Kind unterhalb der Autobahnbrücke nach rechts, in den Bereich von überfluteten Wiesen abgetrieben sei. Mit vier Strömungsrettern wurde der vom schnell fließenden Wasser überspülte Bereich unverzüglich abgesucht. In der Folge wurde auch das Motorrettungsboot der Feuerwehr auf der Bundesstraße zum Einsatz gebracht. Aus der Luft unterstützte der Alarmhubschrauber der Polizeifliegerstaffel den Einsatz mit einer Wärmebild- und Nachtsichtkamera. Damit wurde auch der Ruhrlauf unterhalb der Einsatzstelle abgesucht. Die Feuerwehr Witten rückte mit Tauchern an, um den überfluteten Bereich abzusuchen. Auch die DLRG Ortsgruppe Wetter stand mit einem Boot bereit, musste jedoch nicht mehr eingreifen. Ein Kind konnte nicht gefunden werden, auch die von den Zeugen angetroffene Mutter war nicht mehr auffindbar. Der Einsatz wurde daher nach rund einer Stunde abgebrochen.
Auch zu zwei überörtlichen Rettungseinsätzen rückten die Herdecker Feuerwehrleute aus. Am Donnerstagmorgen forderte die Feuerwehr Gevelsberg das Herdecker Motorboot zur Evakuierung eines Gebäudes an. Aufgrund der geringen Wasserhöhe war ein Einsatz jedoch nicht möglich, die Personen wurden schließlich fußläufig gerettet. Am Abend, kurz vor Aufhebung der Wachbereitschaft nach 25 Stunden rückte die Strömungsrettergruppe in den Kreis Unna aus. In Schwerte trieb eine Frau in der Ruhr. Sie hatte Glück und konnte sich an einem Baum festkrallen. Als die Herdecker Feuerwehrleute an der Einsatzstelle eintrafen, war es grade gelungen, die Frau mit einem Boot zu retten. Ein Einsatz der Herdecker sowie der ebenfalls alarmierten Hagener Berufsfeuerwehr war daher zum Glück nicht mehr erforderlich.
Feuerwache überflutet
Am Mittwochabend trat der Herdecker Bach auch im Bereich der Feuerwache schlagartig über seine Ufer. Innerhalb von rund 15 Minuten war das Untergeschoss der Feuerwache rund 40 cm unter Wasser. Dadurch kam es zu einem Ausfall der Telefonanlage und der EDV-Technik mit Anbindung zur Kreisleitstelle, sodass Einsätze über private Mobiltelefone aus Schwelm entgegengenommen werden mussten. Die Annahme der zuvor zahlreich eingehenden Hilfeersuchen über die Festnetznummer der Feuerwache war nicht mehr möglich, sodass Anrufer wieder auf den überlasteten Notruf angewiesen waren. Ein Stromausfall durch Kurzschluss in der Hauptverteilung konnte buchstäblich auf den letzten Zentimetern verhindert werden, indem die Feuerwehrleute mit überwältigender Unterstützung des zufällig anwesenden THWs einen Sandsackwall vor dem Elektroraum bauten und das Wasser aus dem Raum abpumpten. Auch hinter der Feuerwache abgestellte Privatfahrzeuge wurden durch die Wassermassen beschädigt und sind vermutlich teils als Totalschaden einzustufen. Ein Totalschaden an einem neu angelieferten Rettungswagen, der diese Woche in Dienst gehen sollte, konnte jedoch verhindert werden. Mit großem Engagement der anwesenden Feuerwehrleute wurde das Fahrzeug schnellstens mit einem LKW vom Hof hinter der Wache gezogen. Dabei kam es sowohl am Rettungswagen des Ennepe-Ruhr-Kreises als auch am Wechselladerfahrzeug der Herdecker Feuerwehr zu Sachschäden. Vor der Indienststellung des Rettungswagens ist daher nun eine Instandsetzung erforderlich.
Wassereinbruch im Pumpspeicherkraftwerk
In den Nachtstunden von Mittwoch auf Donnerstag meldete dann die Brandmeldeanlage des Pumpspeicherkraftwerks Herdecke einen Brand im 6. Untergeschoss. Bei der Erkundung stellten die Feuerwehrleute einen massiven Wassereintritt durch eine Tür von der Seeseite aus in den einzigen Treppenraum im 2. Untergeschoss fest. Die Suche nach einem möglichen Brand musste daher abgebrochen werden, da unterhalb liegende Bereiche nicht sicher betreten werden könnten. In der Folge wurde festgestellt, dass sich große Wassermengen begünstigt durch die aktuellen Wartungsarbeiten im ganzen Kraftwerk ausgebreitet hatten. Es war nach Aussage des Mitarbeiters in der Leitwarte bereits zum Ausfall vieler technischer Anlagen gekommen. Auch die Brandmeldeanlage wurde dadurch ausgelöst. Um einen weiteren Wassereintritt zu verhindern, wurde zunächst die Tür im 2. Untergeschoss mit einem Verbau aus Holzbalken gesichert und der Wassereintritt verringert. Nach Eintreffen weiterer Kraftwerksmitarbeiter konnte die Eintrittsstelle außerhalb am See ausfindig gemacht werden und der Wassereintritt durch die Feuerwehrleute mit Holzbohlen nahezu gestoppt werden. In der Folge stieg dann ein Feuerwehrmann mit einem Kraftwerksmitarbeiter über eine Notleiter in das 11. Untergeschoss hinab, um dort Entwässerungspumpen zu starten und den Wasserstrom dorthin zu lenken.
Vermuteter Gasaustritt am Vorhaller Weg
Donnerstagmittag wurde dann ein Gasleck im Bereich der Tennishalle am Vorhaller Weg gemeldet. Im Bereich eines überfluteten Gasschildes hatten Bürger ein Blubbern im Wasser bemerkt. In der Herdecker Einsatzzentrale konnte mithilfe von Daten, die der Einsatzführungsdienst mit einem Fernglas vom Schild abgelesen hatte, der Betreiber der Ferngasleitung ermittelt werden. Nachdem der Notdienst des Betreibers vor Ort eingetroffen war, fuhren die Feuerwehrleute mit der Drehleiter und einem Gas-Messgerät über das Blubbern. Dabei konnte kein Gas festgestellt werden. Es handelte sich Vermutlich um Luft, die aus einer Ummantelung des Gasrohres austrat.
Unzählige Gebäude überflutet
Im ganzen Stadtgebiet rückten die Feuerwehrleute von Mittwoch bis Freitagnachmittag zudem aus, um vollgelaufene Keller und Wohnungen leer zu pumpen. Teils stand das Wasser im Erdgeschoss unterkellerter Häuser über einen Meter hoch. Hierbei unterstütze auch das Technische Hilfswerk die Feuerwehr tatkräftig. Vereinzelt war es noch gelungen, größere Schäden durch Sandsäcke abzuwehren. Aufgrund der sturzflutartigen Überschwemmung war jedoch vielfach die Zeit zu knapp, sodass die Helfer mit Ansehen mussten, wie trotz ihrer Bemühungen Wohnungen überflutet wurden. Zwar reichten die Sandsackreserven der Feuerwehr aus, jedoch befüllten die technischen Betriebe der Stadt Herdecke noch am Mittwoch vorsorglich weitere Reservesäcke. Schwerpunkte der Überflutungen befanden sich im Bereich der Voßkuhle in Gedern, am Herdecker Bach (B54), in der Hauptstraße, im Bachviertel und am Vorhaller Weg. In diesen Bereichen waren vielfach auch die Straßen überflutet und unpassierbar, teilweise auch für die geländegängigen LKWs der Feuerwehr.
Diverse Ölaustritte im Stadtgebiet
Am Wochenende rückten die Feuerwehrleute dann mehrfach zum Herdecker Bach aus, um an verschiedenen Stellen Ölsperren zu setzten. Es zeichnete sich bereits in der Nacht zu Donnerstag ab, dass wohl viele Heizöltanks durch die Überflutung von Kellern ausgelaufen waren. Während der akuten Hochwassersituation war eine Eindämmung technisch zunächst nicht möglich. Erst mit fallendem Pegel und Abnahme der Strömungsgeschwindigkeit könnten die Ölwehrmaterialen der Herdecker Wehr zum Einsatz gebracht werden.
Insgesamt bewältigte die Herdecker Feuerwehr bis zum Sonntagabend 107 Einsätzen im Zusammenhang mit der Sturzflut nach dem Unwetter Bernd. Bereits am Mittwoch um 17:28 Uhr, nur 15 Minuten nach dem ersten Alarm, musste Vollalarm für die Feuerwehr Herdecke ausgelöst werden. Alle Fahrzeuge, beide Boote und diverse Abrollbehälter für die Wechselladerfahrzeuge waren im Einsatz.
Stichwort Strömungsretter:
Strömungsretter sind Einsatzkräfte, die zusätzlich eine spezielle Ausbildung haben, um die Gefahren in schnell fließenden Gewässern, insbesondere auch bei Hochwasser, richtig einzuschätzen und Personen dort zu retten. Für die Herdecker Feuerwehrleute erfolgt die Ausbildung meist bei der DLRG. Die Strömungsrettergruppe der Herdecker Feuerwehr besteht seit rund fünf Jahren und hat aktuell zwölf Mitglieder. Auch eine spezielle Schutzausrüstung, die zu großen Teilen auch vom Förderverein der Feuerwehr finanziert wurde, steht den Rettern zur Verfügung.
Foto: ksk